Die Formative Psychologie

Die formative Psychologie geht von der schlichten und in ihrer Konsequenz zugleich revolutionären Prämisse aus, dass wir unser Körper sind.
Ihr Begründer, Stanley Keleman (geb. 1931), gilt als einer der Pioniere der Körperarbeit. Er wurde u.a. beeinflusst von Karlfried Graf Dürckheim und Alexander Lowen, mit denen er auch zusammen arbeitete. Keleman ist der Direktor des „Center for Energetic Studies“ in Berkeley/Kalifornien, wo er bis heute als Therapeut und somatischer Lehrer wirkt.
Die formative Psychologie ist eine somatische Psychologie, die auf den Prinzipien der Evolution basiert. Sie versteht die biologischen und anatomischen Prozesse des Menschen als die eigentliche Basis menschlichen Wachstums. Die somatische Organisation steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Ererbte und erlernte körperliche Muster von der Geburt über Kindheit, Pubertät, Erwachsensein bis zum Tod gelten als morphologische Bausteine für Erfahrungen, Gefühle, Denken und Verhalten.
Ziel der somatisch-emotionalen Methode ist es, diesen organismischen Prozess zu erkennen und zu gestalten. Identität ist die Erfahrung einer körperlichen Struktur, in der ein Mensch sein persönliches Selbst formt.
Pulsation ist die dem Leben zugrunde liegende Bewegung. Durch Kontraktion und Expansion entstehen Erregungswellen, die auf verschiedene Art und Weisen geformt sind.
Wie verkörpert ein Mensch seine Erfahrungen, Gedanken, Gefühle und sein Verhalten? In welchen somatischen Mustern reagiert er bewusst oder unbewusst auf die Herausforderungen seines Lebens, formt Identität und gestaltet seine Beziehungen?
„Volontary muscular effort“ (Stanley Keleman), willkürlicher muskulärer Einsatz ist im methodischen Ansatz der formativen Psychologie das Werkzeug, mit dessen Hilfe diese somatischen Organisationen aufgegriffen und verändert werden.
Keleman entwickelte die sog. „WIE-Übung“, in der durch Intensivieren und Desorganisieren muskulärer Aktivität neue Pulsationsmuster geschaffen werden. In der Beeinflussung eines körperlichen Musters lernt der Übende, emotionale Konflikte und Krisen ebenso wie physische Beeinträchtigungen und schmerzhafte Zustände zu managen.
Dieses Selbstmanagement ermöglicht die aktive und kreative Gestaltung des persönlichen Lebens- und Wachstumsprozesses.

Die WIE-Übung

Schritt eins:

Aufmerksamkeit ist eine Organisation, in der ich mir meiner selbst und dem, was ich tue, gewahr werde. Aufmerksamkeit erlaubt mir, einen vorübergehenden Eindruck an zu halten. Ich setze dem Fließen eine Grenze, halte den Film an für eine Momentaufnahme.
Wie lese ich im Augenblick diese Zeilen vor mir? Was tue ich mit den Muskeln rund um und hinter meinen Augen? Fokussiere ich, hole ich das Schriftbild heran, sauge es auf oder halte es auf Abstand?

Schritt zwei:

Wie ist es, das, was ich tue, schrittweise zu intensivieren? Möglicherweise wird jetzt erst deutlich, was ich eigentlich tue. Erkenne ich ein Muster? Was geht im Körper mit, beispielsweise im Nacken, im Kiefer, in den Schultern?

Schritt drei:

Wenn ich es intensivieren, also mehr machen kann, kann ich es auch weniger machen. Wie ist es, das Muster einen Schritt zu desorganisieren? Wie verändert sich die Qualität des Lesens?
Wie ist es, auch hier an zu halten, diesem neuen Zustand für einen Moment Dauer zu verleihen? Wenn ich weiter schrittweise desorganisiere, welche Qualitäten zu Lesen kann ich erfahren?

Schritt vier:

Wie empfange ich, was da ist?
Was steigt auf an Bildern, Empfindungen, Gedanken? Was schätze ich an dieser Qualität?

Schritt fünf:

Was habe ich gelernt aus dieser Erfahrung? Kehre ich zurück zu meinem alten Muster oder beginne ich, die neue Erfahrung wieder auf zu greifen?

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