Die Fokale Dystonie

(Lokale Fehlspannung, berufsbedingter Muskelkrampf)

"Üblicherweise bleiben unsere Probleme bestehen, weil wir nicht wissen, wie wir sie organisiert haben, (to organize) und wie wir diese Organisation wieder auflösen können, (to disorganize)."...
"Wir haben die Wahl, uns entweder weiterhin mit den alten Mustern zu identifizieren oder uns neu zu "organisieren"."
(Stanley Keleman in "Forme Dein Selbst", Kösel 1987)

Arbeitsbegriff

Ich betrachte die Diagnose der Fokalen Dystonie nicht als "Urteil", sondern lediglich als Arbeitsbegriff. Sie erscheint in ihrer Symptomatik als extreme Form eines „Stereotyps“, das G.O. van de Klashorst, der Begründer der Dispokinesis, ein "artificial motor pattern" genannt hat.

Zum Erscheinungsbild der Fokalen Dystonie

Fortgesetzte Ausübung von repetierenden, stereotypen feinmotorischen Bewegungen, verbunden mit Stress, hoher Motivation und Perfektionismus kann zu Bewegungs – und Kontrollproblemen des feinmotorischen Apparates führen, bis zur sog. „repetetive stress injury-focal dystonia” (RSI-FHD).
Die Häufigkeit des Auftretens fokaler Dystonien liegt für Instrumentalmusiker in Deutschland zwischen 1:200 und 1:500. (Im Vergleich dazu andere Berufsgruppen: 1:3.400) Diese Erkrankung ist im Bereich von allgemein berufsbedingten Muskelkrämpfen auch bekannt als “occupational hand cramps”.
Die Symptomatik dieser im Prinzip schmerzlosen Erkrankung umfasst Arythmik, unwillkürliche Ko-Kontraktionen, z.B. von Beugern und Streckern der Hand oder der Gesichtsmuskulatur, während der Durchführung einer spezifischen Aufgabe wie Schreiben oder ein Musikinstrument spielen.
Es entsteht ein Verlust von Reflexhemmung mit obengenannten Ko-kontraktionen, Ungenauigkeit, Tempoverlust und anormaler Sequenzierung der feinmotorischen (Finger, Lippen, Zunge) Muskelkoordination.
Entsprechend zu dem manifesten Verlust der Bewegungskontrolle kommt es auf dem primären motorischen Cortex zu einer somatosensorischen „Degradierung“ und gewissermaßen „Verunklarung“, Überlappung der Darstellung auf den entsprechenden Hirnrindenfeldern. Es ist inzwischen nachgewiesen, dass bei einer Re-organisation der Bewegungskontrolle durch spezielles somatosensorisches „Unterscheidungstraining“ auch die Darstellung auf der Hirnrinde sich entsprechend normalisieren kann.

Therapie

Es gibt unterschiedliche Erfahrungen mit somatosensorischen Trainings zur Reorganisation der Hirnareale und Wiederherstellung der Bewegungskontrolle.
Inzwischen hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass ein individuell abgestimmtes Programm von verschiedenen Ansätzen eine reale Chance bietet, die fokale Dystonie teilweise oder auch ganz zu heilen. Solche Ansätze können sein:

 

Dispokinetische Diagnostik und Therapie im Überblick

Diagnostik

Analyse des dystonischen Musters durch
I) Ausführliche Gesprächsanamnese

II) Detaillierte Beobachtung der Haltungs- und Bewegungsmuster am Instrument

Therapie

Prognosen

Prognosen bezüglich Dauer und Erfolg des Prozesses sind im Vorhinein nicht möglich. Parameter wie bisheriger Zeitraum und Schwere der Symptomatik, Alter, Lebenssituation und Motivation des Betreffenden, der Einfluss von unter der Symptomatik entwickelten Kompensationen spielen eine Rolle.
Auch hier gilt: Jede Entwicklung verläuft einmalig und individuell.
Meine persönliche Erfahrung in der jahrzehntelangen Arbeit mit Musikern ist, dass immer eine deutliche Verbesserung der Beschwerden erreicht wird, nicht selten eine „Heilung“. Dabei wirkt sich eine möglichst stressfreien Lebens – und Arbeitssituation sehr positiv auf den Verlauf der Behandlung aus.

Empfohlene Strategie

Die psychische Disposition des Übenden ist nicht zu unterschätzen. Erfolgsdruck steht dem Gelingen in diesem Prozess eindeutig entgegen. Demgegenüber können alle Maßnahmen, die dem körperlichen, seelischen und nicht zuletzt auch sozialen Wohlbefinden dienen und für Gelassenheit sorgen, wesentlich zu einem positiven Verlauf beitragen.
Neugierde und Interesse haben wie bei allem Lernen entscheidenden Einfluss auf den Änderungsprozess.
Im Verlauf diese Prozesses ist das neu zu erwerbende Muster noch nicht verlässlich abrufbar. Unter Druck (regelmäßiger Operndienst, Sinfoniekonzerte, Soloauftritte, Einsätze, die „auf den Punkt“ kommen müssen) neigt das Gehirn dazu, die alten gewohnten Muster aufzurufen, weil sie vertrauter und somit „sicherer“ sind. So kann die notwendige Stabilisierung der neuen Muster immer wieder unterbrochen und gefährdet werden.
In diesem Sinne erschwert z.B. der Orchesterdienst oder regelmäßiges Konzertieren einen solchen Änderungsprozess und sollte im Sinne einer anzustrebenden Wiederherstellung der Berufsfähigkeit möglichst ausgesetzt werden.
Anders verhält es sich beim Instrumental – bzw. Musikunterricht, Dirigieren usw.. Der Musiklehrer muss nicht alles vorspielen, sondern kann die Entwicklung seines Schülers durch die verbale Vermittlung von Vorstellungen anleiten.